Herbert List und die Ruinenfotografie in München
© Herbert List Estate, Hamburg Germany
Die Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums zu Gast in der Rathausgalerie
2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Aus diesem Anlass zeigt die Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums eine Auswahl von Trümmerfotografien der direkten Nachkriegszeit mit Arbeiten von Herbert List sowie Clemens Bergmann, Dorothea Brockmann, Johann Danböck und Helmut Silchmüller. Das Herzstück bildet ein Zyklus von Ruinenbildern, die der 1945 nach München zurückgekehrte Fotograf Herbert List (1903–1975) auf seinen Streifzügen durch die zerstörte Stadt festhielt. Neben markanten Darstellungen des alten und neuen Rathauses sind prominente Bauten wie das ehemalige Braune Haus, die Glyptothek, die Akademie, der Hofgarten, die Frauenkirche, der Marstall und das Wittelsbacher Palais abgebildet. Zerstörte Plastiken und Skulpturen sind im öffentlichen Raum in Szene gesetzt. Lists bemerkenswerte Serie ist im Rahmen seines geplanten, aber nie realisierten Buchprojekts "Die magischen Reste" entstanden, das sich der Ruine als ästhetischem Phänomen ohne regionalen Schwerpunkt widmen wollte.
Die Ausstellung "Stadt in Trümmern. Herbert List und die Ruinenfotografie in München" stellt Lists Serie erstmals seit 1995 vor. Damals veranstaltete das ehemalige Fotomuseum anlässlich des 50-jährigen Kriegsendes eine monografische Ausstellung von Lists Serie im Münchner Stadtmuseum. Die aktuelle Präsentation stellt Lists berührendes Stadtporträt mit weiteren Aufnahmen von Amateur*innen und professionellen, im Auftrag entstandenen Postkarten und Bildberichten gegenüber. Zu den eindrücklichsten Exponaten gehört ein Konvolut von Dias des Turmbeobachters Clemens Bergmann, der im Bombenhagel der Kriegszeit von den Türmen der Frauenkirche die brennende Stadt in situ fotografierte. Helmut Silchmüller vertrieb Trümmeransichten prägnanter Monumente und Straßenzüge in Form von Postkarten kommerziell, während ein weiteres Set an Dias Wiederaufbau und Alltag Münchens 1947 in Farbe zeigt. Zuletzt thematisieren Amateur-Fotoalben des Kaufmanns Johann Danböck den editorischen Umgang mit gekauften und selbstaufgenommenen Bildern vor und nach der Zerstörung der Stadt. Im Kontrast mit diesen fotografischen Positionen wird Lists besonderer Ansatz deutlich: Aus dem Exil in Griechenland kommend war der Fotograf weniger an einer sachlichen Dokumentation der Zerstörung interessiert. Vielmehr widmete er sich überzeitlichen künstlerischen Kompositionen, die auf seine früheren dramatischen und oftmals surrealen Inszenierungen antiker Ruinen aus Griechenland verweisen.
Das Münchner Stadtmuseum kaufte bereits 1966 ein Konvolut von 125 Abzügen aus der Hand des Fotografen für seine stadthistorische Sammlung an, die heute zusammen mit weiteren Zeichnungen und Gemälden in der Sammlung Grafik/Gemälde von der Zerstörung Münchens im Zweiten Weltkrieg zeugen. Erst nach Gründung des ehemaligen Fotomuseums, das 1963 seine Tätigkeit mit dem Anspruch aufnahm als erstes "Deutsches Fotomuseum" die Entwicklung des Mediums übergreifend in Bild und Technik zu dokumentieren, fand Herbert List als überregional relevante, fotokünstlerische Position in mehreren Zugängen Eingang ins Münchner Stadtmuseum. Mit 1.200 Abzügen und dem kompletten, aus 80.000 Negativen und dazugehörigen Kontaktbögen bestehenden Archiv, fungiert die heutige Sammlung Fotografie nun als institutionelle Vertretung des Künstlers. Dieses historische Spannungsfeld zwischen stadthistorischer Dokumentation und fotokünstlerischem Werk nimmt die Ausstellung Stadt in Trümmern konzeptionell auf und lädt dazu ein, Lists Serie auf beiden Ebenen wiederzubegegnen. Neben den präsentierten Fotoalben, Dias und gerahmten Kunstwerken in ästhetischer Faksimile-Qualität bieten deshalb weitere Displays eine alternative, topografische Lektüre der Bilder an, die einem Spaziergang durch die Stadt München nach 1945 gleicht.
Die Ausstellung "Stadt in Trümmern. Herbert List und die Ruinenfotografie in München" entsteht in Zusammenarbeit mit dem Herbert List Estate in Hamburg und wird von Dr. Kathrin Schönegg, Leiterin der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums, kuratiert. Im Frühjahr 2025 erschien eine erweiterte Neuauflage des Bestandskatalogs des Münchner Stadtmuseums "Herbert List. Memento 1945. Münchner Ruinen" im Schirmer/Mosel Verlag. In der Ausstellung werden keine Originalfotografien gezeigt. Neben reproduzierten Dias sind hochwertige, gerahmte Ausstellungsabzüge im Originalformat zu sehen. Das Münchner Stadtmuseum ist bis 2031 für eine umfangreiche Generalsanierung geschlossen und setzt sein Interimsprogramm an externen Spielorten um. Für die beiden städtischen Kultureinrichtungen Rathausgalerie und Münchner Stadtmuseum bietet sich hierbei erstmals die Gelegenheit für eine institutionsübergreifende Kooperation.